Steinriesen im Oberpfälzer Wald
Wer sich als Wanderer in die östlichen Waldgebiete des Schwandorfer Landkreises begibt, der ist beeindruckt von den zahlreich vorkommenden polster- und wollsackähnlichen, abgerundeten, häufig mit Moos und Flechten überzogenen Steinblöcken. An Steilhängen zwischen mächtigen Fichten, Buchen und Farnen liegend, manchmal auch übereinander getürmt. Besonders sind es erhöhte Punkte, Berggipfel, die von solchen Felsgruppen gekrönt sind. Es gibt kaum einen Naturfreund, der beim Anblick dieser manchmal mehrere zehn Tonnen schweren Steinriesen nicht staunend innehalten würde. So ist es nicht verwunderlich, dass schon die Germanen und Kelten glaubten, von diesen Steinen müssten besonders mystische Kräfte ausgehen. Zahlreiche nachweisliche Kultstätten sind ein Beleg dafür. Noch vor ca. 200 Jahren gab es für die Entstehung dieser Steinblöcke keine zufrieden stellende Erklärung. Man hat sie schlicht als Findling bezeichnet.
Johann Wolfgang von Goethe, der nicht nur ein Dichter, sondern auch ein guter Geologe war, befasste sich während einer Reise 1790 durch das Egerland und Oberfranken mit den geologischen Vorgängen des alten Grundgebirges. So erklärte er neben anderem als Erster die Entstehungsweise des Felsenlabyrinths auf der Luisenburg durch langsame natürliche Verwitterung. Bei genauer Betrachtung handelt es sich bei diesen in der Oberpfalz weit verbreiteten Steinblöcken, so genannten Wollsäcken, um einen grobkörnigen Granit, ein sehr altes magmatisches Tiefengestein, dessen grobkristalline Struktur sich durch extrem langsame Abkühlung in großer Tiefe (ca. 4000- 6000m) bilden konnte. Gut zu erkennen ist diese Gesteinsart an den auffallend großen Feldspatkristallen, die neben Quarz und Glimmer den Hauptanteil in der Gesteinszusammensetzung ausmachen. Diese meist gelblich bis hellgrauen Kristalle können regional bedingt mehr als zehn Zentimeter Kantenlänge erreichen. Den in der Oberpfalz und im Steinwald vorkommende Granit konnte man auf ein Alter von ca. 400 Mio. Jahre datieren. Vor ca. 270 Mio. Jahren (Perm) kam es zur Bildung (Heraushebung) des Bayerischen und Oberpfälzer Waldes. Im Pleistozän, also vor ca. 1,5 Mio. Jahren setzten eine Reihe von Kalt- und Warmzeiten ein. Es kam zur Abtragung der jüngeren Deckschichten. Der nun freiliegende Granit war einer physikalischen Verwitterung in Form von Frostsprengung ausgesetzt. Schmelzwasser spülte den zersetzten Granit weg, während der restliche, freigelegte Granit teils in ursprünglicher Lage oder als Blockmeer überstürzt übrig blieb. Zahlreiche kleinere oder größere Hohlräume zwischen den überstürzten Wollsäcken sind willkommene Brutstätten und Winterquartiere für die unterschiedlichsten Tiere des Waldes.
Doch nicht nur für Tiere. So erzählen die Leute von Prackendorf im östlichen Teil des Schwandorfer Landkreises eine Geschichte von einem „Thamerstübl“, eine Felsenhöhle bei Prackendorf. Das Thamerstübl war durch Überstürzung mächtiger Wollsäcke entstanden. Durch einen schmalen Spalt konnte man in das Innere der Höhle gelangen. Seinen Namen hatte diese Höhle von einem gewissen Thammer, wie man im Volksmund den Thomas nannte und der hier zu Beginn des 19. Jahrhunderts hauste.
So wie die Leute über ihn erzählen, war er der „Robin Hood“ in der weiteren Umgebung von Neunburg. Denn was er den reichen Bauern durch List oder Gewalt abnahm, das teilte er wiederum redlich mit den Armen und Notleidenden. Sollte einem ärmlichen Häusler seine einzige Kuh an einer bösen Seuche eingegangen sein, so fand er am nächsten Morgen zu seiner Verwunderung ein gesundes Rind in seinem Stall.
Auch mit Bargeld soll er manchem armen Schlucker ohne Verlangen von Zins oder Rückzahlung geholfen haben. „Das hat der Thamer getan“, getraute sich natürlich niemand zu sagen. Über den Thamer und seine Felsenhöhle gibt es noch viel mehr Erzählungen, aber was aus ihm selbst geworden ist, war nicht zu erfahren. Leider wurde das Thamerstübl, das heute ein bedeutendes Naturdenkmal wäre, aus einer geringschätzigen Haltung der Natur gegenüber zerstört. Steinhauer haben 1911 die Felsen gesprengt und zu Pflastersteinen verarbeitet. Hätte Georg Dorrer, ein damals lebender Kunstmaler aus Neunburg, das Thammerstüberl nicht noch vor seiner Vernichtung gezeichnet, so wüsste heute niemand mehr, wie dieses schöne Naturdenkmal einmal ausgesehen hat.
Text: Horst Meinelt
Fachwart für Geologie und Landschaftsschutz