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Die gemeine Wespe

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Die Wespe wird gern als stechfreudig und lästig betrachtet. Sie hätte tatsächlich guten Grund, sich über uns Menschen zu beschweren, denn ihr Lebensraum und ihre Nahrungsquellen schwinden durch den Eingriff des Menschen zusehends.

In der Ecke unserer äußeren Kellereingangstür entdeckte ich in diesem Frühjahr eine kleine graue papierähnliche Kugel von der Größe eines Tennisballs. Von Tag zu Tag wurde sie größer. Wir hatten Mieter bekommen – die gemeine Wespe! Die Wespe gehört zur Ordnung der Hautflügler. Bis jetzt kennt man in Mitteleuropa etwa 10 000 Arten. Zu den Wespen zählen nicht nur die Arten mit schwarz und gelb gestreiftem Hinterleib, wie die gemeine Wespe oder die Hornisse, sondern auch Arten mit anderen Färbungen und solche, deren Weibchen nicht fliegen können. Auch bei den Wespen stechen nur die Weibchen. Der Stachel, der ein chemisch kompliziertes Gift injiziert, ist das umgebildete Eierlegeorgan. Wespen können in drei Gruppen unterteilt werden, in soziale, einzeln lebende und schmarotzende Arten. Bei uns hatten sich die sozial Lebenden eingenistet, die zu den wenigen völkerbildenden Arten in Mitteleuropa gehören. Natürlich waren wir darauf auch ein wenig stolz.

Nachdem sich im Herbst zuvor die Wespen-Königin gepaart hatte, kam sie im Frühjahr aus ihrem Versteck hervor und suchte einen geeigneten Platz für ein Nest, den sie in einer Ecke der Eingangstür fand. Dann benötigte sie unbehandeltes trockenes Holz, das sie an unserer Terrasse aus unbehandeltem Lärchenholz zur Genüge fand. Wespen beißen Holzfasern ab, die sie zu einem Brei zerkauen. Mit diesem Material – einer Masse, die bald papierartig erhärtet – baute sie ein Nest aus einigen Zellen, die vom Dach der Nestkammer herunterhängen. In jede Zelle legte die Königin ein Ei. Die aus den Eiern schlüpfenden Larven wurden von der Königin mit klein zerkauten Insekten gefüttert. Wespen sind Räuber und ihnen haben wir Menschen zu verdanken, dass wir nicht in weit schlimmerem Ausmaß von andern blutsaugenden Insekten belästigt werden. Etwa 8 Tage nach der Verpuppung schlüpften Wespenarbeiterinnen, das sind unfruchtbare Weibchen, die kleiner als die Königin sind. Nun übernahmen diese Arbeiterinnen die Aufgabe, das Nest zu vergrößern und Nahrung für die nächsten Larven herbeizuschaffen. Mittlerweile hatte für meine Familie auch die Saison begonnen, bei angenehmen Temperaturen auf der Terrasse das Frühstück einzunehmen. Zuerst besuchten uns nur einzelne Wespen um sich ein Stück von der Aufschnittwurst abzuschneiden. Gelbwurst oder auch Hirnwurst genannt, war besonders beliebt. Sie gaben im Nest den anderen Arbeiterinnen offensichtlich die Nachricht weiter, dass in unmittelbarer Nähe eine bequeme und reichliche Futterstelle sei. Es dauerte nicht lange und die Zahl der Frühstücksteilhaber wurde immer größer. Dann griffen wir zu einem Trick. Auf einem kleinen Tellerchen wurde ein Löffel Honig verteilt und in einiger Entfernung auf die Brüstung der Terrasse gestellt. Wir aber konnten in aller Ruhe weiter frühstücken. Mit jedem Mal gewöhnten sich die Wespen immer besser an diesen Ritus.

Die Königin legte von jetzt an nur noch Eier. Im August kann ein Nest bereits 2000 Wespen enthalten. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Wespen für den Menschen sehr nützlich, denn die Arbeiterinnen vernichten große Mengen schädliche Insekten, die sie an die Larven verfüttern. Die Arbeiterinnen dagegen fressen den süßen Speichel, den die Larven absondern. Dann, ab August bauten die Arbeiterinnen größere Zellen. Das Nest hatte nun die Größe eines Fußballs und aus den darin abgelegten Eiern entwickelten sich neue Königinnen. Gleichzeitig wurden auch Männchen aufgezogen. Die neuen Königinnen verließen das Nest und paarten sich mit den Männchen. Dann suchten sie sich Futter und einen geeigneten Platz zum Überwintern. Die Männchen starben bald nach der Paarung und der alte Stock begann sich aufzulösen. Die vielen Arbeiterinnen, die keinen süßen Speichel mehr von den Larven bekamen, suchten nun nach anderem süßen Futter. Jetzt können die Wespen für den Menschen zur Plage werden, denn sie fressen von da an süßes Obst, Marmelade und dergleichen. Wichtig ist, dass nicht nach ihnen geschlagen wird, sondern sie mit der flachen Hand ruhig beiseite zu schieben.



Text und Foto: Anneli Meinelt-Möbius