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Die mysteriöse Glocke im Taxöldener Forst

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Nicht wenige Menschen betrachten Sagen als Märchen aus uralten Zeiten. Eines ist sicher, in allen Sagen äußern sich Fantasie, Philosophie und Erzählkunst der Vorfahren. Meistens ist auch ein Stück geschichtlicher Wahrheit enthalten, wie wir sie auch in den vorliegenden Sagen über den Glockenbrunnen bei Kronstetten finden.


Sage I

Kronstetten ist früher ein Wallfahrtsort gewesen mit einem sehr schönen Geläute in der Kirche .Einmal sind die Böhmen über Nacht mit einem Wagen gekommen und haben die Glocken gestohlen .Auf dem Heimweg aber ist das Fuhrwerk samt den Glocken und dem Rädelsführer der Böhmen versunken, und jene Stelle heißt heute noch der Glockenbrunnen. Wenn man mit langen Stangen in die Tiefe stach, dann konnte man sogar die Glocken klingen hören. Oft haben die Leute schon versucht, die Glocken zu heben, aber niemals ist dies gelungen. Dies soll erst dann möglich sein, wenn Kronstetten wieder ein Wallfahrtsort geworden ist.


Sage II

Als die Hussiten Bayern und die Oberpfalz heimsuchten, raubte eine Rotte derselben die Turmglocke von Pittersberg, um sie nach Böhmen zu schleppen. Da soll sich der Weg, auf welchem die Räuber dahinzogen, in Sumpf verwandelt haben, also dass Mann und Ross in den Boden zu sinken begannen. Todesschrecken befielen die Räuber, augenblicklich warfen sie die Glocke von sich, welche tief in den Boden versank. Noch liegt sie dort in tiefem Grund und ward zu einem Brunnen, welcher den Namen Glockenbrunnen führt bis auf den heutigen Tag. Wenn man Steine hineinwirft, so schallt es herauf wie Glockenton. Man grub nach ihr und stieß auch auf dieselbe. Aber jedes Mal, wenn man sie anfassen wollte, wich sie zurück.



Gibt es aktenkundige Ereignisse, die diesen Sagen zugrunde liegen?

Im Staatsarchiv Amberg befindet sich unter „Pfalz-Neuburg“ Nr. 1152 ein Akt mit 16 Produkten aus den Jahren 1595 und 1699 „das Graben nach einer von den Böhmen bei ihrem Einfall in die Oberpfalz zwischen Taxöldern und Schwandorf an der Grenze in einem Brunnenquell versenkten Glocke aus Pittersberg im Amte Rieden betreffend“. Der Sachverhalt: Unter dem 15. Februar 1595 berichtet der Landrichter Joh. Meyer von Neunburg nach Amberg. „Der kurfürstlich pfälzische Jägermeister Georgen Grabenpauer traf am Donnerstag, dem 13. Februar 1595 im Walde in seinem Forstbezirk zwischen Taxöldern und Schwandorf in einer Lohe, darin ein Brunnenquell, eine Mannsperson grabend an. Auf Befragen sagte der Gräber aus: Es sollen vor langer Zeit, etwa bei achtzig Jahren, die Behämer, als sie heraus in die Pfalz gefallen, zu Widenberg (Pintersberg) im Amte Rieden eine große Glocken weggenommen haben und diese in ihrem Abzug nach Böhmen mit sich zu nehmen und führen zu lassen Vorhabens gewesen. Sei aber den Behämern von den Pfälzischn nachgeeilt, sie Orts angetroffen und eine Schlacht gehalten worden. Wie nun die Böhmen gesehen haben, dass sie die Glocke nicht heimbringen könnten, haben sie diese in den Brunnen versenkt.“ Zu dieser Aussprache sei dann der Pfleger von Schwandorf gekommen, der dann behauptete, dass der Ort, wo diese Glocke sei, „in der jungen und nicht in der alten Pfalz“ gelegen sei und dass Sie – die Schwandorfer - die Glocke beanspruchen werden. Es entwickelte sich dann zwischen den Pflegern von Neunburg und Schwandorf ein längerer Schriftwechsel; denn ein jeder wollte diese Glocke haben, die nach einem von Neunburg heimlich ausgeschickten Kundschafter „nicht tiefer als einen Werkschuh“ liegen sollte. Am 21. Februar 1595 schreibt der Neunburger Pfleger u. a. nach Amberg: „ Nach des Gräbers Aussage soll die Glocke fünf Werkschuh weit sein; daraus ist anzunehmen, dass sie groß und schwer ist. Bürgermeister und Rat zu Schwandorf sollen ein Buch besitzen, in dem soll stehen, dass die Glocke vor hundertzehn Jahren versenkt worden sei.“ Der Pfleger von Neunburg hatte von einem Kundschafter, den er nach Schwandorf geschickt hatte, vom Schwabenmüller in Schwandorf, einem Vetter des Glockengräbers, folgendes erfahren: „Der Gräber habe eine Feile an der Stange befestigt und hineingestochen und gefeilt und habe nichts anderes finden und herausbringen können als Glockenspeis und Zinn“.

Es scheint die Lust am Heben dieses Schatzes bei beiden Kontrahenten verloren gegangen zu sein; denn erst am 16. Juni 1684 schreibt der P. Superior der Kapuziner in Schwandorf an den kurfürstlichen Rat und Kanzler nach Amberg, dass die Schwandorfer ihr Wallfahrtskirchlein auf dem Kreuzberg erweitern und eine Glocke mangelt. Die Schwandorfer Bürger bitten nun durch ihn, die Glocke auf ihre Kosten an dem schon genannten Ort suchen zu dürfen. „Vor hundert und mehr Jahren, wie man sagt, soll außer Schwandorf eineinhalb Stunden ungefähr in einem Wald und gar öden Ort ein Quellbrunnen, den niemand achtet, tief und morastig sein. In diesem Quellbrunnen, so erzählt die Sage von gemeinen Leuten, sollen die Schweden eine Glocke geworfen haben. Es ist aber nur eine Sage und gar keine Gewissheit… der Ort, von dem man sagt, ist gleich anstoßend der Grenz Amberg und nit über fünfzig Schritt davon.“

Kurfürst Max Emanuel und seine Regierung wollten natürlich die sagenhafte Glocke nicht ins Ausland nach Schwandorf in Pfalz-Neuburg gehen lassen und so wurden die Schwandorfer hingehalten, während die Glocke noch immer in der Postlohe im Landgerichtsbezirk Neunburg v. Wald ruhte.

Am 26. August 1699 bringt der Landrichteramtsverwalter von Neunburg die Angelegenheit neuerdings wieder an das Tageslicht. Er schreibt an seinen durchlauchtigsten Herrn: „Die Böhmen sollen 1485 bei einem Einfall eine Glocke geraubt und bei der Verfolgung in der Postlohe, so allhiesiger Landgerichtsjurisdiktion, aber nächst der jungpfälzischen Grenze im Moraste versenkt haben.“ Er bittet, wenn die Glocke gefunden werden sollte, sie dem sehr armen St.-Georgs-Gotteshaus in Neunburg zu verehren. Gleichzeitig legte er ein Bittgesuch der Bürger des inneren und äußeren Rates von Neunburg (Joh. Riedl, Seb. Roth, Georg Müller, Joh. Mayr, Wolf Meyer, Christoph Meyerhoffer, Hanns Thoma Riddl, Hans Gruber, Hans Weinding, Georg Federl) um Überlassung der Glocke vor. Darin wird aufgeführt: „Pfalzgraf Johann, Herzog in Bayern sel. hat nach dem Siege von 1433 über die treulosen Hussiten die Kirche St. Georg in Neunburg erbauen und darin eine schwere große Glocke machen lassen. Diese Glocke ist 1634 von der Schwedisch - Pirkenfeldischen Armee des Freiherrn von Vodieyoba ihrer Größe halber nit fortzubringen gewesen; daher ließ er sie zerschlagen nach Regensburg führen. Von alten Leuten stammt die Nachricht, dass 1485 die Böhmen bei einem Einfall in die pfälzischen Landen ebenfalls eine Glocke geraubt, weil sie aber von den Pfälzern verfolgt worden sind, haben sie nicht fortgekünnt mit ihr und haben sie deshalb in einem Moraste oder Brunnquell versenkt in der Nähe von Schwandorf, aber auf des Herrn Grund.“ Das Gesuch wurde genehmigt; ob sie aber etwas gefunden haben, darüber schweigt der Akt und die Geschichte.



Welche Schlüsse lassen sich aus der Aktenlage ziehen?
1. Bereits vor mehr als 300 bzw. 400 Jahren war die Sage von der geraubten und versenkten Glocke im Volk lebendig. 2. 1595 und 1699 handelt es sich um den gleichen Ort. 3. Das Objekt ist eine von den Böhmen geraubte Glocke aus Pittersberg, weniger wahrscheinlich aus Kronstetten. 4. Als Zeit könnte nach Joseph Rappels Angaben der Böhmeneinfall unter König Ottokar vor 1262 oder die Zeit der Hussiteneinfälle bis 1433 in Frage kommen. Auch der Landshuter Erbfolgekrieg 1504 wäre möglich, da an diesem ein großes böhmisches Kontingent beteiligt war und der Glockengräber 1595 angibt, der Raub soll vor circa achtzig Jahren ausgeführt worden sein. Die Böhmen konnten zu dieser Zeit die geraubte Glocke aus Pittersberg ungehindert durch das 1504 niedergebrannte Schwandorf führen, da keine Tore mehr den Durchzug verwehrten.

Die Sage vom Glockenbrunnen hat somit sicher einen wahren Kern.

1917 noch war nach Aussage von Leythäuser das Gelände am Glockenbrunnen (Gemeinde Wackersdorf) ein tiefes mit Quellwasser angefülltes Loch von einigen Quadratmetern Umfang. Mit einer Stange wurde auch der Untergrund untersucht, jedoch es wurde nichts entdeckt. Seit 1908 wird die Wasserquelle aus dem Glockenbrunnen für die Wasserversorgung der Gemeinde Wackersdorf genutzt. Damals wurden auch die Brunnen- und Pumpanlagen, sowie ein Häuschen für den Pumpenwärter errichtet. Heute ist der Einzugsbereich des Brunnens eingezäunt und man braucht schon einige Fantasie, um eine Ähnlichkeit mit der Darstellung der Örtlichkeit aus den Sagen erkennen zu können. Verwunderlich ist, dass man beim Ausbau der Quelle nicht den Versuch unternommen hat, der Glockenbrunnensage tiefer auf den Grund zu gehen.

Für den Fall, dass jemand den Glockenbrunnen aufsuchen möchte, hier die UTM – Koordinaten: E 02 96553 N 54 67227 Blatt Wackersdorf Text: Anneli Meinelt-Möbius Neunburg vorm Wald Bild: Horst Meinelt, Fachwart für Geologie OWV-Schwandorf, Neunburg vorm Wald Bild: Umzäunter Einzugsbereich des Glockenbrunnens neben dem Pumpenhaus Literatur: Chronik der Gemeinde Wackersdorf Joseph Rappel „Für d´Sitzweil“, 1956 L. Leythäuser in der Zeitschrift „Die Oberpfalz“, 1917